27652 Aufrufe

Der Iran ersetzt Preissubventionen durch Direktzahlungen an alle

Rubrik:

Von Hamid Tabatabaï

 

Am 19. Dezember 2010 trat im Iran die erste Phase der im Januar vom Parlament per Gesetz beschlossenen Reformen in Kraft. Dabei werden in den nächsten 5 Jahren praktische alle direkten und indirekten Preissubventionen nach und nach aufgehoben (rund 100 Mrd. CHF) und ersetzt durch Direktzahlungen an alle iranischen Bürger/innen (rund die Hälfte). Die Treibstoffpreise gingen massiv in die Höhe (Benzin CHF 0.40 pro Liter, bisher CHF 0.10; Diesel CHF 0.15 pro Liter, bisher CHF 0.02; von einer gewissen Menge an sind die Preise sogar noch höher (CHF 0.70 bzw. CHF 0.35). Auch Wasser, Elektrizität und Mehl wurden in ähnlichem Umfang teurer. Als Ausgleich erhalten die Iraner nun 445'000 Rial pro Person und Monat (rund CHF 45).

 

Voraussetzung für den Bezug ist die Einschreibung bei der zuständigen Stelle; sie erfolgt durch den Haushaltsvorstand, der auch das Geld für alle im Haushalt lebenden Personen (inklusive die Erwachsenen) auf sein Konto überwiesen erhält. Die Auszahlung erfolgt alle zwei Monate, bedingungslos und ohne Bedarfsprüfung. Rund 60.5 Mio. Iraner (81% der Bevölkerung) haben sich angemeldet und die ersten Gelder bezogen (CHF 90 pro Person bzw. CHF 450 für eine Familie mit 5 Mitgliedern). Die übrigen 19% folgten entweder dem Aufruf der Regierung an die wohlhabenden Kreise, auf die Direktzahlungen zu verzichten, oder aber sie misstrauten den Einschreibe-Formalitäten. In den nächsten Jahren soll die Summe auf das Doppelte steigen; der gesamte Reformprozess ist heute zur Hälfte abgeschlossen.

 

Die Direktzahlungen bzw. das «verkappte Grundeinkommen» hat seine Feuertaufe bestanden und vermochte die massiven Preiserhöhungen weitgehend aufzufangen. Der Reformbedarf im Subventionsdschungel war sowieso unumstritten. Diskutiert wurde nur darüber, ob die Transferzahlungen an Bedingungen geknüpft werden oder nur an bestimmte Zielgruppen geleistet werden sollten; aber die Vorschläge lösten derart heftige Kontroversen aus, dass sich das Parlament schliesslich auf eine Einheits-Geldleistung einigte.

 

Verschiedene Merkmale eines Grundeinkommens sind noch nicht erfüllt, z.B. mit der Auszahlung an den Haushaltvorstand anstatt direkt an die Individuen. Sodann war bisher nie davon die Rede, dass dieses Grundeinkommen etwa ein Grundrecht sei; die Geldleistungen werden offiziell als Bargeld-Subventionen bezeichnet, welche die Aufhebung der Preissubventionen ausgleichen. Der Betrag liegt deutlich unter einem akzeptablen Subsistenzeinkommen (CHF 225 für eine 5-köpfige Familie entspricht rund zwei Dritteln des Minimallohns); und schliesslich sind die rund 2 Mio. ausländischen Flüchtlinge ausgeschlossen, die zum Teil schon jahrelang im Iran leben.

 

Anderseits konnten mehrere zentrale Hindernisse auf dem Weg zu einem echten Grundeinkommen bereits im Vorfeld genommen werden. Das Programm ist stabil und hat die Form eines Gesetzes. Alle Menschen haben bedingungslos Anrecht auf das Geld. Die Finanzierung ist gesichert. Und wenn die Reformen greifen und die Ziele erreichen (verbessertes Konsumverhalten, Steigerung von Investitionen und Effizienz, Umverteilung von Einkommen zugunsten der Besitzlosen und Reduktion der Armut), sieht seine Zukunft positiv aus. Insofern ist Iran bei der Einführung eines «bedingungslosen Grundeinkommens» gegenwärtig weiter als alle anderen Länder auf der Welt.

 

 

Kommentare

BGE statt Revolution

Naja, die Machthaber im Iran haben doch wohl nur Angst das inen der Laden genau wie in àgypten oder Tunesien um die ohren fliegt wenn sie es nicht schaffen die dringlichsten sozialen Probleme zu lösen. Das ist dann wohl auch der einzige Grund dafür.

Aber imerhin, Bismark hat den Sozialstaat damals auch nur aus Angst vor einer Kommunistischen Revolution eingeführt. Das der Iran das genau jetzt startet zeigt das die dort Herrschenden Eliten langsam Angst vor ihrem eigenen Volk bekommen und zugeständnisse machen müssen um nicht ihre eigene Macht zu verlieren.

Das Beispiel zeigt das es um ein BGE zu bewirken einer starken und radikalen Opposition bedarf. Vor die Wahl gestellt ob Revolution oder BGE wird sich wohl so jede Regierung die an der Macht bleiben will für das BGE entscheiden. Solch eine Sozialreform kann nur von unten, vom Volk erzwungen werden.

@Piratenpartei Wähler

Ich wusste gar nicht, dass zu Bismarks Zeiten die kommunistische Gefahr so groß war, dass dringende Maßnahmen notwendig erschienen. Immerhin sprechen wir bei Bismark von Ende 19 Jahrhundert.

Sie können mich sicherlich eines besseren belehren. Ich bin ganz Ohr!

Zu Tunesien/Ägypten:

Also, das Gesetz wurde ja nicht erst kurzfristig zusammengeschustert. Das hat einen großen Vorlauf. Der Artikel selber spricht von Dezember 2010.  Und das ist sogar ein Meilenstein des Prozesses gewesen. Der gesamte Prozessweg ging noch viel weiter zurück. Im Übrigen ist Iran nicht so reich wie das von Amerikas Gnaden bestehende Saudi-Regime, um mal kurz finanzielle Geschenke zu verteilen. Die "Geld-Subvention" soll ja im Übrigen noch steigen.

Übrigens, dass Iran nicht so reich ist, wie es eigentlich sein könnte, dank Öl, Gas und sehr sehr fähige intelligente Menschen, ist wieder einmal der primitiven Politik des US-Barbarismus zu verdanken.

Ergo: dieser Prozess lief schon zu einer Zeit an, bevor die Protestwelle in Tunesien angefangen hat, ja bevor jemand geglaubt hat, dass diese Staaten sich jemals von der Unterjochung Ihrer US-hörigen Diktatoren befreien kann.

Außerdem ist diese iranische Lösung zur Unterstützung der Bevölkerung ein Geniestreich. Somit werden gezielt die Bedürftigen unterstützt. Und nichtr wie vorher jeder. Denn was nützt es einem Reichen, der ja ohnehin nicht bedürftig ist, wenn er noch zusätzlich zu seinem Vermögen, Geld auf Mindestlohn-Niveau oder drunter bekommt? Durch diesen Prozess findet eine unglaubliche Umverteilung des Geldes von den Reichen zu den Armen. Arme können ihren Lebensunterhalt bestreiten und bei der Lohnabsprache mit der Industrie sich nicht mehr so leicht ausbeuten lassen. Wer auf Wohlstand zielt oder gar reich werden möchte, kann weiterhin einer Arbeit nachgehen und Erfolg haben.

Die Guten und Bösen definieren sich durch ihre Taten. Und auf welcher Seite die wahren Ungerechten stehen, wird immer deutlicher als es ohnehin bereits ist.

 

Bismarck, Ahmadinejad und andere...

Zu Bismarcks Zeiten gabe es noch keine kommunistische Partei, seine Sozialgesetzgebung war eher ein Schachzug gegen die damals noch verbotene Sozialdemokratische Partei.

Aber grundsätzich sollte man nicht gegen Reformen sein, nur weil befürchtet wird, dass Reformen die Chancen einer Revolution abschwächen. Eine echte Revolution kommt erst dann, wenn Reformen gar nicht mehr möglich sind. Deshalb: In dieser Sache, Hut ab vor der iranischen Regierung, auch wenn die Direktzahlungen in Umfang und Definition noch nicht ganz mit dem Grundeinkommen übereinstimmen, wie wir uns dieses vostellen.

Ein wichtiges Teil ist aber dabei: Die Bedingungslosigkeit, das heisst, wenn ich richtig verstanden habe, dass alle Familien die es wünschen (auch wohlhabende Familien), sich dafür anmelden können und es dann auch erhalten - unabhängig von eigenen Ressourcen, Invalidität oder anderes. Es sind eben nicht gezielt die Bedürftigen, die unterstützt werden, sondern alle, die sich anmelden. Nur deshalb kann die Massnahme überhaupt im Umfeld des Grundeinkommens gebracht werden. 

Frage vielleicht, ob nicht islamische Familien, wenn es solche dort überhaupt noch gibt, auch gemeint sind. Wir sind zwar nicht habilitiert, über andersartige Kulturen zu richten, doch denke ich, dass ein Individualisierung des Geldtransfers den Iranern mehr Freiheit schenken würde. Aber wie eingangs schon gesagt: Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung werden erst kommen, wenn die Zeiten dafür reif sind, und dann kommen sie von Innen. Auch in Iran.

Klarstellung zur "Individualität"

Das iranische Modell erfüllt sehr wohl die Bedinungung der "Individualität"!

Dabei geht es nämlich nicht darum, auf wessen Konto das Geld landet, sondern dass der Betrag nur von der Situation des Einzelnen abhängt, nicht das Einkommen eines Partners positiv oder negativ auf den Anspruch des anderen Partners einwirkt. Gegenbeispiele zur "Individualität" findet man beispielsweise in der heutigen Rechtslage in (D) bei "Ehegattensplitting" und "Bedarfsgemeinschaft", aber auch bei "Kinderfreibetrag" und "Kindergeldgrenze", ohne dies näher erläutern zu wollen. Und auch die Unterkunftskosten von Hartz-IV-Empfängern sind ungerecht geregelt, da allein der Staat profitiert, wenn zwei zusammenziehen.

Aber natürlich müssen wir es kritisch sehen, wenn in jener patriarchalen Gesellschaft nur die Familienväter das zusätzliche Geld kontrollieren.