Fotos von Dirk Haarmann, BIG Coalition Namibia - Klicken, um zu vergrößern
Das bedingungslose Grundeinkommen als Instrument zur Armutsbekämpfung.
Am 30. März 2010 stellte Herbert Jauch, Vertreter der BIG-(Grundeinkommens-)Koalition in Namibia, bei einer Veranstaltung von BIEN-Schweiz in Bern das Grundeinkommens-Pilotprojekt Otjivero vor. Rund 40 interessierte Zuhörer/innen folgten den Ausführungen des gebürtigen Stuttgarters, der seit Anfang der 1990-er Jahre die namibische Staatsbürgerschaft besitzt.
Die meisten Menschen in Otjivero haben ihre Arbeit auf den umliegenden Farmen verloren. Wasser gibt es reichlich dank einem nahe gelegenen Staudamm. Die kargen Behausungen stehen auf staatlichem Boden; rund 1000 Menschen unter 60 Jahren erhalten seit 2 Jahren das bedingungslose Grundeinkommen von 100 namibischen Dollars (rund 10 Euro bzw. 15 Franken) pro Person und Monat. Diese Summe deckt rund einen Drittel des geschätzten Existenzminimums ab und entspricht somit nicht den europäischen Kriterien eines vollen Existenzminimums; aber sie hat sich als effizientes Mittel zur Armutsbekämpfung bewährt, und hier liegt der Knackpunkt bei diesem Grundeinkommensmodell: Im Gegensatz zur herrschenden Doktrin bei den supranationalen Institutionen, insbesondere beim IWF, bewirken direkte und bedingungslose Geldzahlungen an die Ärmsten keineswegs eine soziale Katastrophe oder den Kollaps der öffentlichen und privaten Moral. Dies geht aus den statistischen Werten hervor, welche die BIG-Koalition in Otjivero erhoben hat. Sie lauten rundum positiv. Die Kriminalität ist zurückgegangen (wobei diese Kriminalität hauptsächlich aus dem Sammeln von Brennholz – auf dem Land der Grossgrundbesitzer – und aus Wilderei bestand, d.h. es handelte sich um «Substistenzkriminalität»), und substanzielle Fortschritte wurden im Bildungsbereich erzielt. Der Anteil der vorzeitigen Schulabgänger/innen hat sich drastisch reduziert; viele Eltern kaufen ihren Kindern jetzt eine Schuluniform; die Schulgeldzahlungen (auf freiwilliger Basis) sind in die Höhe geschnellt. Die Kinder kriegen ganz simpel auch mehr zu essen; die Unterernährung ist laut Angaben des kleinen Dorfspitals praktisch verschwunden. Von besonderem Interesse sind die Wirtschaftsbewegungen, die von den zusätzlichen Geldmitteln ausgelöst wurden. Es handelt sich um entwicklungspolitische Klassiker: Hier konnte sich eine Frau eine Nähmaschine kaufen, eine Gruppe gründete einen Dorfladen (sehr zum Ärger jenes Lebensmittelhändlers, der im Hinblick auf das Grundeinkommen seinen Laden aufgerüstet hatte), eine weitere Frau backt und verkauft Brötchen, und ein Dorfbewohner hat begonnen, selber Ziegelsteine zu brennen, zuerst für sich selber bzw. für den Bau eines kleinen festen Hauses und dann nach und nach für die Nachbarn. Die Qualität der Bewohnungen ist insgesamt ebenfalls krass gestiegen; Plastikplanen wurden von Wellblechhütten abgelöst oder eben durch feste Behausungen.
Zur Überwachung bzw. Verwaltung des Grundeinkommens setzte die Dorfversammlung einen Vorstand ein. Die Auszahlung erfolgt monatlich mit einer Grundeinkommens-Karte, welche die Bezugsberechtigung legitimiert. Die Dorfversammlung hat übrigens beschlossen, im Sinne einer vorsorglichen Massnahme am Tag der Auszahlung des Grundeinkommens die 7 Kneipen im Dorf zu schliessen...
Die Erfahrungswerte nach 2 Jahren sind mit anderen Worten rundherum positiv. Die BIG-Koalition möchte deshalb dieses Pilotprojekt so schnell wie möglich ausdehnen – und zwar auf das ganze Land Namibia. Dies erfordert erstens ein Finanzierungsmodell und zweitens einen politischen Konsens. Letzterer ist noch nicht gesichert, ist sich doch die Regierung selber nicht einig; der Wirtschaftsminister ist ein feuriger Anhänger des Projekts und hat sogar selber als erster auch einen finanziellen Beitrag geleistet, wogegen der Finanzminister ein solches Grundeinkommen kategorisch ablehnt. Dies hat wohl auch mit jener Delegation des Internationalen Währungsfonds zu tun, welche eine Grundeinkommens-Studie erarbeitete, allerdings «zufälligerweise» mit falschen Zahlen. Namibia ist zwar nicht im gleichen Ausmass von den globalen Finanzierungsinstitutionen abhängig wie andere Länder im südlichen Afrika, aber die Doktrin von Weltbank und IWF haben doch auch hier ihre Auswirkungen.
Die Finanzierung kann laut der BIG-Koalition durch eine mässige Erhöhung der Einkommenssteuer für die reicheren Bevölkerungsklassen sowie durch die Anhebung der Mehrwertsteuer um rund 2% ohne grössere Probleme für das ganze Land gesichert werden. Offen sind die Fragen der Verwaltung bzw. der Umsetzung, wobei das Pilotprojekt Otjivero auch hier Modellcharakter hat: Die Abstützung in der Bevölkerung ist unerlässlich, und die Auszahlung vermittels einer Grundeinkommens-«Kreditkarte» drängt sich als Lösung für das gesamte Land geradezu auf.
Das Interesse am Grundeinkommens-Pilotprojekt Otjivero ist riesig und geht weit über die Grundeinkommens-BefürworterInnen hinaus. InteressentInnen aus Indien planen ein ähnliches Projekt für ihr eigenes Land; vergleichbare Ansätze gibt es auch in Brasilien (wo ein ähnliches Modell, die «Bolsa familial», im Prinzip bereits landesweit vorgesehen ist). In dieser Situation erscheint es als zentrale Aufgabe, die doktrinären Blockaden in sämtlichen Köpfen und Führungsgremien bei internationalen Agenturen zu beseitigen. Dies würde dem Konzept einen erheblichen zusätzlichen Elan verschaffen.
In Otjivero selber braucht man die Menschen nicht nach dem Erfolg zu fragen; mit Ausnahme des erwähnten Lebensmittelhändlers äussern sich alle BewohnerInnen positiv zum Projekt, und sie hoffen, dass die Finanzierung für ihr Dorf gesichert werden kann, bis das Modell im ganzen Land Verbreitung findet. Sogar die umliegenden Farmer äussern sich mindestens nicht rundweg ablehnend und anerkennen die sichtbaren Fortschritte im Dorf, von denen sie zum Teil profitieren (rückläufige Diebstahlsquote) und zum Teil auch nicht (die Landarbeiter/innen aus Otjivero haben nun auch noch andere Perspektiven). Besonders «lustig» ist dabei der Umstand, dass das Grundeinkommen eben auch an diese Farmer ausgerichtet wird – genau dies ist einer der Kernpunkte eines bedingungslosen Grundeinkommens, dass es nämlich alle Bewohner/innen erhalten, unabhängig von ihren übrigen Vermögens- oder Einkommensverhältnissen. In dieser Beziehung ist das Grundeinkommen auch eine demokratische oder republikanische Basisleistung.
Albert Jörimann
Kommentare